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„Wir verlieren unser gastronomisches Erbe.“ – Sternekoch Roberto Petza im Interview

Roberto Petza ist mit seinem Restaurant „S’apposentu di Casa Puddu“ ein Aushängeschild für die sardische Spitzengastronomie. Er ist der einzige Küchenchef in Sardinien mit einem Michelin-Stern, hat die höchste Punktzahl aller Restaurants auf der Insel im Restaurantführer des Espresso und drei Gabeln im Gambero Rosso. In einem ausführlichen Interview des Webportals focuSardegna hat er über seine Küchenphilosophie, seinen Bezug zur sardischen Heimat und die Bedeutung der Herkunft der Ausgangsprodukte gesprochen. Er sieht die Entwicklung der sardischen Esskultur durchaus kritisch und fordert ein Neubesinnung auf die Traditionen der sardischen Küche.

FocuSardegna hat uns freundlicherweise die Genehmigung gegeben, das Interview zu übersetzen und auf dieser Website zu veröffentlichen.

Erste Adresse in Sardinien

«Roberto Petza ist eines der anerkanntesten Talente in der nationalen Küche und hat auch internationale Auszeichnungen. Er ist 1968 in San Gavino Monreale geboren. Nach dem Studium an der Hotelfachschule Istituto Alberghiero di Alghero entscheidet er sich, die Insel zu verlassen und sammelt viele Jahre in Spitzenrestaurants in Italien und im Ausland Erfahrungen. Ende der neunziger Jahre kehrt er dann nach Sardinien zurück und eröffnet die Restaurants „S’apposentu“ (in seinem Heimatdorf) und „S’apposentu al teatro lirico di Cagliari“. Er bekam viel Anerkennung. Im Jahre 2010 schuf er die „Accademia dell’alta Cucina Sarda“ (Akademie für die gehobene sardische Küche) in Siddi, dem Dorf im inneren der Insel, das besonders stark mit der Produktion sardischer Pasta verbunden ist. Er zog dort mit seinem Restaurant in eine Jugendstil-Villa aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert (das frühere Wohnhaus der Pastafabrikanten-Familie Puddu war), wo er seitdem mit der „Accademia Casa Puddu“ und dem Ristorante „S’apposentu di Casa Puddu“ großen Erfolg hat. Derzeit verfügt Petza über einen Michelin-Stern, der ihm in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen wurde, und drei Gabeln im Gourmetführer Gambero Rosso. Der Erfolg des Sternekochs und seine Wertschätzung durch Feinschmecker und große nationale sowie internationale Gourmetführer ist darin begründet, dass er immer Verfechter einer Kochkunst war, bei der der Respekt vor der Tradition und den heimischen Produkten stets an erster Stelle steht.

Roberto Petzas Küche ist eng mit seiner Heimatregion Sardinien verbunden, von dort kommen die Zutaten der Gerichte, die er in seiner „Guten Stube“ (denn das heißt s’apposentu übersetzt) serviert. Denn er ist, mehr noch als ein ausgezeichneter Koch, ein Botschafter der Region, indem er gekonnt traditionelle Gerichte zu innovativen Neuinterpretationen weiter entwickelt. Wir trafen ihn nach der langen Tour, auf der er in Mailand auf der Expo bei zahlreichen Veranstaltungen Sardinien und die feine italienische Küche vertrat.

Herr Petza, ist es wahr, dass wir den echten Geschmack der Lebensmittel, die wir auf den Tisch bringen, gar nicht nicht mehr gewohnt sind?

Leider ist es wahr. Die Lebensmittelindustrie hat unseren Geschmack standardisiert. Alles, was von der Industrie kommt, wird einheitlich produziert, um immer gleich gut zu sein. Wenn man jedoch einmal innehält, um den Produktionsprozess und die Zutaten genauer zu betrachten, merkt man, dass hier eine Geschichte erzählt wird, an der nichts Wahres ist. Als Beleg dafür kann man folgende Tatsache nehmen: Wenn jemand, ob Kind oder Erwachsener, etwas probiert, das aus „echten“ Produkten hergestellt ist, ist er verwirrt, weil in seiner, in unser aller „database“ die Erinnerung an diesen Geschmack nicht mehr existiert. Aber das bezieht sich nicht nur auf industriell hergestellte Lebensmittel. Nehmen Sie die Diskussion um das Saatgut: Alle Gemüse, die wir essen, sind das Ergebnis veränderten Saatguts, welches ein Gemüse oder einer Frucht nicht den wahren Geschmack entwickeln lässt. Denken wir an die Karotten, die früher mal schwarz, violett, rot und gelb waren – nicht als Spielerei, sondern von Natur aus. Vielleicht waren sie nicht so süß und lecker, sondern erdig und rau und weniger knackig. Jetzt gelänge es nicht, diesen Geschmack wieder zu erkennen. Das gleiche gilt für Fleisch: Wer ein Stück Schweinefleisch vom einem nach alter Tradition freilaufend aufgezogenen Schwein probiert, wird den Geschmacksunterschied bemerken und auch die andere Konsistenz des Fleisches. Denn das Fleisch von im Freien aufgewachsenen Tieren hat eine andere Muskulatur, als eines, das sich nicht bewegt hat, weil es im engen Stall aufgewachsen ist.

Es gibt also eine Art negativer Geschmacksrevolution durch die Veränderung in der Art und Weise, wie Tiere aufgezogen werden und Ackerbau betrieben wird. Betrifft diese Entwicklung auch Sardinien?

Je mehr die Agrarindustrie die „wilde“ Tierhaltung im Freien zurückdrängt, desto mehr kann sie verdienen. Das trifft auch in Sardinien zu – natürlich. Ein anderes Beispiel betrifft den Weizen. Früher bauten wir eine Weizensorte an, die mehr in die Höhe wuchs und keine Herbizide brauchte. Aber die Sorte hatte einen Fehler: Die Halme brachen vor der Ernte schon beim ersten Gewitter und faulten dann schnell. So hat man sich für eine Sorte entschieden, die niedriger wächst als die frühere, welche über das Unkraut hinaus wuchs. Mit der Konsequenz, dass man heute fünf mal Herbizide ausbringen muss. Wir sollten lernen, auf die Natur zu hören, um die Lösungen zu finden, nach denen wir suchen.

Im vergangenen Jahr war die Langlebigkeit in Sardinien wichtiges Thema bei Debatten und „runden Tischen“, an denen Sie teilgenommen haben. Genauer gesagt ging es um die Ernährungsgewohnheiten der Sarden. Gibt es tatsächlich eine Diät der Hundertjährigen?

Ich würde nicht alles an der Diät, also an dem, was sie essen festmachen. Die Hundertjährigen essen wenig und in ausgewogener Weise, ohne Exzesse und mit viel Variation. Nicht nur Fleisch, das sogar eher wenig, sondern auch viele Hülsenfrüchte und Gemüsesorten. All das folgt, natürlich, dem Ablauf der Jahreszeiten. Jedes Lebensmittel hat dabei seinen Monat, was ich nicht müde werde zu wiederholen. Es gibt zudem einen weiteren Faktor, der mit Stress im Zusammenhang steht. Es gibt nicht das Geheimnis für ein langes Leben, aber einer der Schlüssel, um gesund zu leben, ist sicherlich die Umwelt um uns herum und wie wir unser Leben darin führen. Man kann nicht sagen: Mache eine Diät und werde 100 Jahre! Was ich immer sage, ist: Schauen wir, was wir von den Hundertjährigen in der Gesamtheit lernen können, von ihrem Alltagsleben bis hin zu ihrer Ernährung, und halten wir uns nicht nur bei einem Aspekt auf.

Nehmen Sie es, insgesamt gesehen, als schwierig wahr, in Sardinien eine gewisse Vorstellung von Tradition zu erhalten? Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Esskultur auf der Insel?

Sardinien ist heute eine der Regionen, die von ihren Traditionen am meisten vergessen hat. Wir sind dabei, all das zu verlieren, was unser gastronomisches Erbe ist. Viele Restaurants nutzen zwar die Bezeichnung „tipico“, praktizieren aber eine bequeme Küche, in der nicht einmal eines unserer typischen Gerichte gemäß der Tradition zubereitet wird. Ich fahre jeden Tag im Durchschnitt 120 km, um einzukaufen und mich direkt beim Erzeuger mit Produkten einzudecken, die besonders typisch sind und die ich meinen Gästen mit Respekt vor der Tradition empfehlen kann. Wir brauchen eine neuerliche Achtung für den Kunden, wir brauchen den Glauben an eine Ethik des Typischen, dann könnte Sardinien wirklich eine glückliche Insel sein. Natürlich, wenn man bedenkt, dass 95% der Lebensmittel einkaufenden Einrichtungen keine sardischen Produkte kaufen und dass 65% unserer nutzbaren Ackerflächen brach liegen, ist das Szenario, das vor uns liegt, nicht eines der besten.

Auch wenn es vielleicht selbstverständlich und altbekannt klingt, wir haben auf unserer Insel gute Lebensmittel, Lebensqualität und ein landwirtschaftliche Struktur, die, wenn sie richtig gefördert würde, einen Qualitätssprung machen könnte. Kann das Szenario, das Sie beschrieben haben, auch ein glückliches Ende finden?

Wir sind leider dabei, das Bewusstsein für das zu verlieren, was wir zubereiten und zu essen anbieten sowie für das, was wir produzieren. So scheint es mir, wenn ich sehe, dass Leute Salat oder Tomaten aus Spanien kaufen, obwohl gleich nebenan die gleichen Produkte aus Sardinien liegen – nur eben nicht attraktiv verpackt und präsentiert. Wir waren einmal große Produzenten und Konsumenten von Hülsenfrüchten und nun kommen 97% dieser Produkte von überall auf der Welt zu uns und eben nicht mehr aus Sardinien. Gegen diese Entwicklung bräuchten wir eine Agrarpolitik, die es bis heute noch nicht gibt. In jeder Wahlperiode (der Regionalregierung) wird eine andere, sich von der der vorhergehenden unterscheidenden Agrarpolitik umgesetzt, ohne darüber nachzudenken, was wir wirklich brauchen. Und pünktlich jedes Jahr kommen die selben Probleme wieder auf den Tisch, und es erhöht sich die Zahl der Landwirte weiter, die ihre Arbeit nur noch tun, um Zuschüsse vom Staat oder von der EU zu erhalten. Das Übel Sardiniens ist, seit zu vielen Jahren mit Unterstützungsleistungen überlebt zu haben. Diese Form der Politik verdirbt jede Lust, selbst etwas zu unternehmen. Nehmen Sie nur Siddi, wo ich das Restaurant eröffnet habe, hier lebt 65% der Bevölkerung von der Arbeitslosenunterstützung. Das ist ein echtes Generationsproblem, und ich denke, es wird mindestens fünf weitere Generationen brauchen, um eine Änderung der Subventions-Mentalität in Gang zu bringen.

Nach zehn Jahren auf dem italienischen Kontinent und im Ausland haben Sie sich entschlossen, nach Sardinien zurückzukehren und die Herausforderung hier anzunehmen. Wie war die Rückkehr und woraus ist die Entscheidung geboren?

Der Auslöser war ein Zufall, der aber seinen Hintergrund in dem Versprechen hatte, das ich mir selbst gegeben hatte, als ich die Hotelfachschule beendete. Ich sagte mir damals: Mit dreißig werde ich ein eigenes Restaurant eröffnet haben. In den späten neunziger Jahren, als ich im Trentino arbeitete, rief mich dann mein Vater an, um mir zu sagen, dass das Dorfrestaurant, das seit 1936 bestand und wo man Pferdesteaks und Schnecken auftischte, verkauft werden sollte. Die Sache hat mich neugierig gemacht, und ich ging dann 1998 zurück nach Sardinien. Dort gestaltete ich, zusammen mit meiner damaligen Freundin, dieses Lokal um. Ich war seit 15 Jahraus aus dem Dorf weg und hatte, ein wenig aus Unbedarftheit, nicht darüber nachgedacht, wie Sardinien sein kann nach all den Jahren und wie es außerhalb der Sommermonate ist. Ich stieß mit der Realität zusammen. San Gavino war ein Industriedorf, als ich geboren wurde. Als ich zurückkehrte entdeckte ich, dass sich dort seit der Schließung der Gießerei und dem Abriss des Gewerbegebietes nichts nach vorn entwickelt hatte, sondern vieles sogar rückwärts. Nach sechs Monaten waren wir kurz davor zu schließen. Es tat mir damals sehr weh, zu verstehen, dass du durchaus Talent haben kannst, wenn aber die Gästezahlen nicht stimmen, erreichst du nichts.

Die Zeit und die Entbehrungen haben dann allerdings dem Talent doch zu seinem Recht verholfen, wie das, was Sie in Siddi aufgebaut haben, heute deutlich macht. Darauf Bezug nehmend sagten sie kürzlich in einem Interview: „Ich unterrichte die Heimatregion. Kochschulen gibt es viele. In Siddi kannst du nicht nur Kochen lehren, du musst etwas darüber hinaus gehendes anbieten.“ Wie sieht dieses „darüber hinaus gehende“ aus?

Ich verbrachte Jahre damit, die Welt zu bereisen, um zu lernen und mich beruflich zu entwickeln. Dann wusste ich, dass die Zeit gekommen war, dass ich etwas nach Hause mitbringen würde, das Früchte tragen würde. Früher funktionierte das so. Man ging raus, um als Handwerksbursche draußen Fähigkeiten zu erwerben und sein Handwerk zu lernen. Heute geht dieser Brauch, der Italien in Sachen Know-how stark gemacht hat, verloren. Denn dieser Brauch trug zu einem verarbeitenden Gewerbe und einem Handwerk von hoher Qualität bei – im weitesten Sinne verstanden. Heute ist es bekanntlich nicht mehr wichtig, die Arbeit richtig zu lernen. Als Gegenleistung für die Bezahlung dient vielmehr nur die Zahl der Arbeitsstunden. Zum Ausgleich dazu werden jetzt überall neue Kochschulen eröffnet. Ich sagte mir: Was muss ich lehren? Eine Konditorcreme herzustellen? Nein, ich will eine qualitativ hochstehende Küche lehren, in der das genutzt wird, was man vor der eigenen Tür findet. Die wirkliche exotische Küche ist die, die du mit den Produkten realisierst, die nur du bieten kannst. Es sind nicht Mango und Papaya, sondern die ganz besonderen Kräuter oder das Fleisch vom Züchter deines Vertrauens, die deine Küche exotisch und besonders machen.  Sie „erzählen“ – vermittelt über die damit hergestellten Gerichte – von deiner Heimatregion. Dabei geht es darum, die Ausgangsprodukte zu kennen und bis zur Perfektion zu studieren, denn ohne diese Kenntnis versteht man das Wesen dieser Produkte nicht.

Was denken Sie, in diesem Zusammenhang, von Fernsehsendungen wie Master Chef?

Ich habe keinen Fernseher, also schaue ich mir solche Sendungen nicht an. Aber ich denke, dass sie der Restaurantszene schon geholfen haben, sich zu entwickeln, indem sie Aufmerksamkeit auf eine Welt gelenkt haben, die bisher im Verborgenen geblieben war. Früher sah man den Koch nie und die Küche war nicht in Reichweite des Gastes – zumindest was die Sichtbarkeit anging. In den ersten zehn Jahren meiner Karriere bin ich nie aus der Küche heraus in den Gastraum gegangen und habe auch keinen Gast zu Gesicht bekommen. Dank dieser Medienpräsenz ist der Koch in die Öffentlichkeit getreten und hat sein Wesen deutlich werden lassen – nicht als Künstler, sondern als Handwerker, der durch die Gerichte seine Kunst zum Ausdruck bringt.

Haben Sie ein Lieblingsgericht?

Bei den sardischen Gerichten würde ich, vor einer Languste und einem Schweinefüßchen sitzend, das letztere wählen. In Bezug auf die internationale Küche schwärme ich für das Dreieck Laos, Kambodscha und Thailand, wo es  meiner Meinung nach eine der besten Küchen der Welt gibt: Spaß machend, frisch und sehr abwechslungsreich!

Welchen Rat würden Sie einem jungen Sarden geben, der Ihren Karriereweg einschlagen möchte?

Dies ist ein Beruf der Leidenschaft und der Opfer. Wenn Du ihn ausüben willst, musst Du dem Herzen folgen. Wenn Du ihm folgst, musst Du alles andere vergessen und nur ihm folgen.»

Quelle: focuSardegna

Autorin: Mariella Cortes, sardische Journalistin und Beraterin für „marketing territoriale“

Übersetzung: Hans-Peter Bröckerhoff

Alle Rechte der Übersetzung vorbehalten

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