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Dolci sardi einmal anders – die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu

Anna Gardu empfängt uns in ihrem Privathaus. Denn zurzeit hat sie keine Werkstatt und keinen Ausstellungsraum. Die bekannte sardische Künstlerin und Pasticciera, was in ihrem Fall wohl am besten mit Zuckerbäckerin und nicht wie üblich mit Konditorin zu übersetzen ist, wohnt mitten in der Altstadt von Nuoro, nur wenige Meter entfernt vom Museo Deleddiano, dem Geburtshaus der berühmtesten Tochter Nuoros, der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Grazia Deledda. Ihres Wohnung ist stilvoll modern eingerichtet und lässt überall die enge Beziehung der Hausherrin zu Kunst und Design deutlich werden. 

„Ich befinde mich zurzeit in einer Umbruchphase“, entschuldigt sich Anna Gardu nochmals dafür, dass sie uns hier und jetzt keine große Auswahl ihrer Werke zeigen kann. Ihre Zeit und Kraft widme sie, erklärt sie, seit einiger Zeit mehr einem neuen Projekt als der Arbeit an ihren Objekten. Sie werde unweit von ihrer jetzigen Wohnung nicht nur eine neue Werkstatt mit Showroom eröffnen, sondern auch ein Restaurant und ein kleines B&B. Wenn alles gut gehe, könne sie im Frühjahr des nächsten Jahres die neue Aktivität eröffnen. Dann können die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu auch wieder einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt werden.

Anna Gardu ist Pasticciera (Zuckerbäckerin) und zugleich eine der berühmtesten Künstlerinnen Sardiniens.

Dass ich jetzt keine Fotos von ihren Werken machen kann, ist zwar ein wenig schade aber nicht wirklich schlimm. Denn Anna Gardu ist als Pasticciera und Künstlerin so bekannt, ja berühmt auf Sardinien, dass es im Netz viele Bilder von ihren süßen Kunstwerken, den kunstvoll verzierten Plätzchen, Kuchen und Schmuckelementen, gibt. Auch ich selbst habe einige Fotos, die ich bei Veranstaltungen, auf denen sie ihre Kreationen ausgestellt hat, machen konnte, in meinem Archiv. Viel wichtiger als ihre Werke zu fotografieren, ist es mir heute, mit der Künstlerin ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, wie sie dazu gekommen ist, solch reichhaltig verziertes Gebäck und vor allem Kunstwerke aus Mandeln, Zucker und anderen essbaren Zutaten zu produzieren. Und ich möchte erfahren, welchen Bezug ihre Arbeit zur kulinarischen Tradition Sardiniens hat.

Das erscheint, wenn man in der Google-Suche „Anna Gardu“ eingibt.

Ich erkläre unserer Gastgeberin, dass wir schon vor einigen Jahren durch einen Artikel in der sardischen Kulturzeitschrift ANTAS (siehe Foto) auf sie aufmerksam geworden sind und dass meine Frau mich zu diesem Recherche-Gespräch begleitet, weil sie seit diesem Artikel fasziniert von den wunderbaren Kleinoden ist und die Gelegenheit, die Künstlerin persönlich kennen zu lernen, gerne wahr nimmt. Erfreut von unserem Interesse zeigt uns Anna Gardu zunächst doch ein Objekt, an dem sie gerade arbeitet, eine Timballa (siehe Bildergalerie). Sie erklärt dabei, wie dieses Objekt, das eines ihrer bekanntesten ist, entsteht: Der Korpus besteht aus einer Mandel-Karamell-Masse, ist innen hohl und wird mithilfe einer Puddingform hergestellt. Deshalb auch der Name Sa Timballa. 

Das Titelblatt der sardischen Kulturzeitschrift ANTAS ist nur ein Beispiel für die große Beachtung, die die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu auch in den Medien finden.
Das Titelblatt der sardischen Kulturzeitschrift ANTAS ist nur ein Beispiel für die große Beachtung, die die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu auch in den Medien finden.

Sie zeigt uns ebenfalls die kleinen, von ihr selbst optimierten Spritztüllen, mit denen sie den Zuckerguss so filigran auf den Mandelkrokant auftragen kann, dass es aussieht wie das Werk einer Spitzenklöpplerin. Stolz erzählt sie auch, dass sie den Zuckerguss, die glassa, in seiner Zusammensetzung so weiterentwickelt hat, dass er über sehr lange Zeit stabil bleibt. Die Zugabe von Eiweiß und das Erhitzen der Masse gibt der Glasur eine ähnlich schützende Konsistenz wie Porzellan. Wenn man sie vor Feuchtigkeit schützt, bleibt diese Glasur über viele Jahre haltbar. Deshalb werden die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu normalerweise auch unter einer Glasglocke aufbewahrt.  

Die großen Objekte, wie eine solche Timballa oder auch ihre ebenfalls sehr bekannten, reich dekorierten Hühner (galline und gallinelle), erfahren wir weiter, kann man alle vollständig essen. Sie werden aber meist nicht gekauft, um sie zu essen (zumindest nicht sofort), sondern in der Regel für besondere Gelegenheiten als Tischschmuck oder als dekoratives Ausstellungsstück. 

Ihre kleineren „Kunstwerke“ hingegen, die verschiedenen dolci traditionali, sind durchaus zum sofortigen Verzehr gedacht. Das können wir am eigenen Leibe erfahren. Denn bevor wir auf ihren Werdegang zu sprechen kommen, bietet uns Anna Gardu eine ihrer kleinen, reich verzierten Mandelkompositionen an. Die sind nicht nur schön anzusehen sondern auch extrem lecker. Unsere Begeisterung macht sie fast ein wenig verlegen und wir erfahren, dass diese Plätzchen Melinas genannt werden. „Sie sind nach dem Rezept meines Urgroßvaters aus Mandelmasse, Orangenschale und einer Glasur aus Zuckerguss gemacht“, erklärt sie, „und gehören heute zu den traditionellen dolci Olienas.“ 

Diese traditionellen Mandelplätzchen aus Oliena, die Melinas, gehören auch zu Anna Gardus Angebot. Sie sind nicht nur schön, sondern auch ausgesprochen lecker.

Die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu sind fest in der Familientradition verwurzelt.

Mit ihrem Urgroßvater, Nicola Colli, habe alles begonnen, erzählt Anna Gardu. Der habe nämlich, obwohl in Nuoro geboren und aufgewachsen, in Genua, wo sein Vater herstammte, die Konditoren-Schule besucht. Sie zeigt uns sein altes, sichtlich viel genutztes Fachbuch aus dieser Zeit. Zurück in Sardinien, erfahren wir weiter, heiratete der Urgroßvater eine Frau aus Oliena und legte mit ihr in dem unweit von Nuoro gelegenen Dorf am Fuße des Monte Corrasi den Grundstein für eine „Zuckerbäcker-Dynastie“. Nach seinem Tod übernahm seine Tochter, danach deren vier Töchter (eine davon war Anna Gardus Mutter) die Konditorei.

„Mein Urgroßvater war ein innovativer Mann voller Energie und Schaffenskraft“, erzählt uns unser Gegenüber. Er habe schon damals mit Akribie die Möglichkeiten ausgelotet, das Zuckerbäcker-Handwerk mit seinem künstlerischen Anspruch zu verbinden. Die an der Genueser Zuckerbäcker-Schule gelehrte Art, dolci reich zu verzieren, habe er weiterentwickelt und dabei auch die Stickereien der traditionellen sardischen Trachten auf das Gebäck übertragen. 

Das alte Fachbuch des Urgroßvaters aus seiner Zeit an der Konditoren-Schule in Genua hält Anna Gardu in Ehren.

Die Timballa zum Beispiel, erklärt Anna Gardu, sei in Oliena traditionell ein Geschenk anlässlich der Kindstaufe gewesen. Die Eltern der Täuflinge schenkten diesen Kuchen den Paten als Zeichen der Verbundenheit. Ihr Urgroßvater habe die Timballa dann weiterentwickelt, sie statt wie üblich aus Kuchenteig nur aus sehr lange haltbarem Mandelkrokant hergestellt und noch reicher verziert als zuvor. „Ich sehe mich“, fügt sie noch an“, ganz in der Tradition meines Urgroßvaters.“ 

Die Anfertigung der Timballa hat Tradition in Anna Gardus Familie. Hier zeigt die Künstlerin ein altes Foto, auf dem eine ihrer Cousinen ein solches süßes Kunstwerk trägt.

Wie lange sie an einer solchen Timballa arbeite, möchten wir wissen und erfahren, dass im fertigen Objekt sehr viele Arbeitstage stecken. Deshalb ist sie auch nicht gerade billig. Tausend Euro oder mehr müsse man schon rechnen, verrät uns die Künstlerin. Es komme ganz auf die Art der Verzierung an. Sie fertigt diese großen Objekte normalerweise nur auf Bestellung an. Und wer ein solches süßes Kunstwerk bestellt, muss es selbst abholen, denn ein Versand wäre viel zu gefährlich.

Manche Objekte entstehen auch für Ausstellungen und Veranstaltungen. Die Künstlerin hat in der Tat schon viele Ausstellungen bestückt, sowohl solche, die nur ihrem Werk gewidmet waren, als auch Gemeinschaftsausstellungen. Highlights war die Präsentation ihrer Werke im sardischen Pavillion auf der Expo 2015 in Mailand und eine Ausstellung in Japan.

Solche „einfachen“ Mandelkompositionen werden bei Anna Gardu unter anderem für Hochzeiten bestellt.

Anna Gardu ist bei all der Arbeit als Künstlerin immer noch auch eine klassische Pasticciera. Sie stellt weiterhin, ganz im Sinne der Familientradition, auch die traditionellen Dolci aus Oliena her. Auch diese haben wegen der kunstvollen Verzierungen ihren Preis, werden aber durchaus für besondere Anlässe wie Hochzeiten gerne bei ihr bestellt. Der nicht geringe Preis der Süßigkeiten ergibt sich auch aus der Verwendung von sehr hochwertigen einheimischen Zutaten. Insbesondere die Mandeln kommen alle aus Sardinien und zwar von Bäumen alter, authochtoner Mandelsorten. 

Anna Gardu verbindet die künstlerische Arbeit mit dem Engagement für die einheimischen Mandelsorten.

Deshalb engagiere sie sich auch, betont Anna Gardu, für die Erhaltung der alten einheimischen Mandelsorten und für die Förderung des weiteren Anbaus solcher Sorten. Diese erwiesen sich oft als klimaresistenter und nachhaltiger als Neuzüchtungen oder importierte Sorten. „Ich habe dafür mit einer Kooperative junger Leute zusammengearbeitet, die alte Mandelsorten anbauen, und auch eine Initiative gestartet, damit die alten Sorten gesetzlich besser geschützt und gefördert werden.“ Und auch auf Diskussionsveranstaltungen vertrete sie ihr Thema, fügt sie noch hinzu.

Hier spricht die Künstlerin und Pasticciera auf einem Kongress über die Langlebigkeit, die Blue Zones, auf Sardinien über die Bedeutung der autochthonen Mandelsorten.

Wir wünschen Anna Gardu viel Erfolg bei ihrem Engagement für die alten sardischen Mandelsorten und natürlich auch für ihr neues Projekt, die Mischung aus Werkstatt, Showroom, B&B und Restaurant. Und wir versprechen ihr, wiederzukommen, sobald sie ihre neue Aktivität eröffnet hat.  

Text: Hans-Peter Bröckerhoff

Fotos: Hans-Peter Bröckerhoff, Screenshot Google-Suche

Hier noch zwei sehenswerte Videos über die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu und die Künstlerin selbst:

Das erste ist anlässlich einer Ausstellung entstanden und kommt ohne Worte aus. Hier können die essbaren Kunstwerke von Anna Gardu nochmals in ihrer Vielfalt angesehen werden.

Das zweite (hier verlinkte) ist ein ausführlicher Bericht in italienischer Sprache über die Künstlerin und Ihre Arbeit.

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