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Vernaccia di Oristano – einer der ältesten und edelsten Weine Sardiniens

Der sardische Vernaccia ist mehr als ein normaler Wein (und nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter aus dem toskanischen San Gimignano). Sein außergewöhnlicher Geschmack, seine Stärke sowie die Art und die Anlässe, ihn zu genießen, veranlassen viele, ihn den „sardischen Sherry“ zu nennen. Auch sein Reifeprozeß in nicht vollständig gefüllten Eichen- oder Kastanienfässern, mit der typischen FIorbildung, ähnelt dem des Sherry. Und doch ist er purer, natürlicher Wein, gereift ohne Alkoholzugabe, wie sie beim Sherry üblich ist.

Vernaccia di Oristano wird bis heute nach strengen, traditionellen Regeln produziert. Versuche, das Anbaugebiet auf andere sardische Gegenden auszudehnen sind stets gescheitert. Der sardische Vernaccia ist ein einzigartiger und auf weiterhin auf seine Ursprungsregion beschränkter Tropfen geblieben. Als erstem sardischen Wein wurde ihm 1971 das Recht zuerkannt, die Bezeichnung „Denominazione di Origine Controllata“ (DOC) zu tragen.

Der, je nach Alter, goldgelbe bis bernsteinfarbene Vernaccia di Oristano hat ein intensives, sehr charakteristisches Bukett, in dem der Duft der Mandelblüte mitschwingt. Im Geschmack ist er kraftvoll und trocken, doch zugleich warm, samtigweich und harmonisch. Er hat einen langen Abgang und einen ausgeprägten Nachgeschmack, der leicht an Bittermandel erinnert. Sein natürlicher Alkoholgehalt liegt bei ca. 14,5-16 Prozent, sein Restzuckergehalt in der Regel unter 1,5 Gramm pro Liter und sein Säuregehalt bei 5,5 – 6 Promille. Vernaccia di Oristano gewinnt mit zunehmendem Alter an Reife und Güte, ist außerordentlich lange lagerfähig und behält auch nach dem Öffnen der Flasche noch lange seine hohe Qualität

Aperitif, Dessert, Geselligkeit, Meditation …

Es gibt viele Anlässe und Gelegenheiten, einen Vernaccia di Oristano zu genießen. Er wird dabei stets aus kleinen Gläsern und meist ungekühlt getrunken. Wie der Sherry ist auch der Vernaccia ein ausgezeichneter Aperitif vor einem guten Essen. Dann wird er gekühlt serviert. Als älterer Jahrgang ist er ein klassischer Dessertwein, zu dem besonders Mandelgebäck sehr gut passt. Und schließlich ist er ein wirklicher „vino da meditazione“ für besondere Mußestunden.

Vernaccia di Oristano passt ausgezeichnet zu den Dolci sardi, die zumeist aus Mandeln gemacht sind.

Als normaler Tischwein allerdings wird er (bis auf wenige Ausnahmen) nicht getrunken. Als Wein zum Kochen jedoch ist er aus der sardischen Küche nicht wegzudenken. Vernaccia di Oristano passt (oder gehört sogar) als Zutat zu so manchem Rezept. Zum Kochen wird meist ein sehr junger Vernaccia genommen, der in Eineinhalbliter-Flaschen angeboten wird. Aber auch der gereiftere Vernaccia eignet sich hervorragend.

Große Vergangenheit und ungewisse Zukunft

In den letzten Jahrzehnten ist der Konsum von Vernaccia in Sardinien kontinuierlich zurückgegangen, sodass heute in der öffentlichen Diskussion auch Begriffe wie „Krise“ oder „Rettung vorm Aussterben“ zu hören sind. Diese Tendenz hat vor allem zwei gründe: Erstens bevorzugen die jüngeren Sarden (und zunehmend nicht nur die) als Aperitif oder bei geselligen Treffen in den Bars meist einen frischen Weißwein oder einen Rosé – oder sie greifen gar zum Bier. Zweitens hat die Internationalisierung des Weinhandels viele „Konkurrenten“, Weine mit ähnlich besonderem Charakter und für ähnliche Anlässe, in Spiel gebracht. Deshalb haben einige Produzenten begonnen, aus der Vernacciatraube auch modern ausgebauten Weißwein herzustellen. So bieten, die Cantina Contini (bekanntester und auch international vertreibender Vernaccia-Produzent) und die Cantina Sociale della Vernaccia heute jeweils einen Weißwein und einen Sekt an, die beide mit moderenen Produktionsmethoden weitgehend aus der früh gelesenen Vernacciatraube hergestellt werden.

Antico Gregori
Antico Gregori, ein Vernaccia, der zum Teil mehr als 50 Jahre alt ist und es in die „Liste der 100 besten weine der Welt“ geschafft hat.

Neben dieser Umwidmung eines Teils der Produktion zu modernem Tischwein, liegt die Zukunft des Vernaccia di Oristano in der weiteren Erhöhung der Qualität des traditionellen Weines und in der besseren nationalen und internationalen Vermarktung. Diese Erkenntnisse formulierten auch Produzenten und Experten auf einer Tagung („Le vie della Vernaccia di Oristano“), die sich 2013 mit der Krise des traditionsreichen Weines befasste. Das Potenzial zu einem erfolgreichen Überleben hat dieser Wein. Seine Qualitäten müssen „nur“ einem größeren Publikum bekannt gemacht werden. Wie erfolgreich ein Vernaccia di Oristano sein kann, zeigt beispielsweise der Antico Gregori genannte Uraltvernaccia der Cantina Contini. Er wurde vom italienischen Star-Sommelier Luca Gardini 2013 in seine Liste der 100 besten Weine der Welt aufgenommen.

Traditionsreich, einzigartig und legendär

Die Vernaccia-Rebe wird seit alters her im weiten Tal des Tirsoflusses auf speziellem Boden, in der Nähe des Meeres und der großen, salzreichen Lagunen angebaut. Die ältesten Belege dafür reichen beinahe tausend Jahre zurück. Seinen eigentlichen Ursprung vermuteten manche Experten sogar in der phönizisch-römischen Niederlassung Tharros, der antiken Vorgängerin der heutigen Provinzhauptstadt Oristano. Mittlerweile weiß man, dass die Vernaccia-Traube noch älter ist. Unter den gut 3000 Jahre alten Traubenkernen, die vor einigen Jahren in einem Brunnen aus der Nuraghier-Zeit gefunden wurden, befanden sich auch welche von der Vernaccia-Traube. Deshalb kann heute davon ausgegangen werden, dass der Vernaccia di Oristano zu den ursardischen Weinen gehört – und zu den ältesten der Menschheitsgeschichte überhaupt.

Über die Entstehung des Vernaccia erzählen die Menschen um Oristano eine alte Legende, die, auch wenn man heute weiß, dass die Rebe viel älter ist, immer noch schön anzuhören ist:

Als vor langer, langer Zeit die heilige Giusta das Elend der malariaverseuchten Gegend an der Mündung des Flusses Tirso sah, weinte sie bitterlich. Wo ihre Tränen zu Boden fielen, wuchsen Weinstöcke. Diese brachten einen goldenen, kräftigen Wein hervor, der wie eine Medizin dabei half, das Malariafieber zu lindern. Heute ist die Malaria in Sardinien überwunden und der Vernaccia dient nicht mehr als „Medizin“. Als besonderer Genuss steigert er jedoch weiterhin das Wohlbefinden und erhöht die Lebensfreude.

Autor: Hans-Peter Bröckerhoff

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